Innenminister Joachim Herrmann und Dr. Burkhard Körner, Präsident des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz an Rednerpulten
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Verfassungs­schutz­bericht 2022: Extremisten nutzen Krisen­lagen, um Misstrauen zu säen

München, 24. April 2023 (stmi). „Extremisten jeder Art und ausländische Akteure versuchen aktuelle Krisensituationen zu nutzen, um Misstrauen gegen den Staat, seine Institutionen und Entscheidungsträger zu säen. Die andauernde Krisenlage stellt unsere Demokratie hier auf eine Belastungsprobe.“ Zu diesem Ergebnis kommt Innenminister Joachim Herrmann bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2022. Herrmann stellt dabei fest, dass die Grenzen unterschiedlicher Extremismusbereiche zunehmend verschwimmen. „Verschwörungstheorien, Fake News, Hass und Hetze vor allem im Internet haben viele Überschneidungspunkte mit extremistischen Ideologien. Über dieses Einfallstor können sich demokratiefeindliche Vorstellungen leichter in der Gesellschaftsmehrheit verbreiten.“  Erschwerend kommt die große Dynamik oftmals zufälliger Vernetzungen in den sozialen Medien hinzu. All das stellt die Verfassungsschützer vor neue Herausforderungen.

Cyberangriffe, Desinformationen und Spionage nehmen zu

Sorge bereitet Herrmann die seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wachsende Bedrohung durch Cyberangriffe, Desinformationen und auch Spionage – sowohl virtuell als auch real. „Auch wenn aktuell keine konkreten Anhaltspunkte für gezielte Angriffskampagnen aus dem Cyber-Spektrum vorliegen, müssen wir alle wachsam sein. Dies gilt besonders für bayerische Unternehmen, Einrichtungen der kritischen Infrastruktur und Forschungseinrichtungen“, betonte der Minister.

Im Rechtsextremismus weniger klar umrissene Strukturen

Im Bereich des Rechtsextremismus geht der Trend laut Herrmann weg von klar umrissenen Strukturen, wie Parteien. „Von den aktuell 2.590 Szeneangehörigen gehören rund 54 Prozent mittlerweile dem unstrukturierten Personenpotential an, sind also zum Beispiel als Internetaktivisten auffällig geworden. Die Gesamtzahl der rechtsextremistischen Straftaten ist von 1.750 auf 787 gesunken. Darunter befinden sich 23 Gewalttaten.“ Herrmann stellte jedoch klar, dass darüber hinaus auch viele Straftaten zu verzeichnen sind, bei denen die Motivlage zwar nicht eindeutig ist, jedoch aufgrund der Tatumstände ein gewisser Einfluss rechtsextremistischen Gedankenguts naheliegt.

„Weiterhin stellen die Verfassungsschützer fest, dass die Szene aktuell ihre Agitation gegen Migranten verstärkt. Sie versucht insbesondere Proteste von Bürgerinnen und Bürgern gegen die Unterbringung von Asylbewerbern zu beeinflussen.“ Der Minister schließt hierbei nicht aus, dass dies mittelfristig zu einem erneuten Anstieg von Straftaten gegen Migranten führen könnte. „Besonderes Augenmerk richten wir auch auf die konsequente Entwaffnung. Hier haben wir die Weisungslage gegenüber den Waffenbehörden noch einmal verschärft und damit bundesweit Maßstäbe gesetzt“, so Herrmann.

Weiter Zulauf bei Reichsbürger- und Selbstverwalterszene

Die Szene der Reichsbürger- und Selbstverwalter erfahre weiter Zulauf: „2022 hat das Personenpotenzial mit 5.360 einen neuen Höchststand erreicht.“ Dies ist laut Herrmann zum einen krisenbedingt, aber auch auf das konsequente Handeln der bayerischen Sicherheitsbehörden zurückzuführen, die jedem noch so kleinen Hinweis auf reichsbürgertypische Aktivitäten nachgehen. In dieser Szene zeige sich ein großer Hang zur Verschwörungstheorien, ein erhebliches Radikalisierungspotenzial sowie eine steigende Gewaltbereitschaft. „Die Sicherheitsbehörden stufen aktuell rund 450 Personen als gewaltorientiert ein. Auch ist die Gesamtzahl der Straftaten von 425 auf 699 gestiegen.“

Beim Linksextremismus Mobilisierungskraft gesunken, aber Gewaltbereitschaft gestiegen

Mit Blick auf die linksextremistische Szene zeigte sich Herrmann einerseits erfreut, dass die Mobilisierungskraft der Szene gesunken sei. „Dies zeigte sich besonders beim G7-Gipfel, bei dem die Aufrufe, den Gipfel zum Desaster zu machen, keinen Widerhall gefunden haben.“ Als besorgniserregend bezeichnete Herrmann jedoch die zunehmende Gewaltbereitschaft in der Szene. „Übergriffe werden gezielter, persönlicher und professioneller. Immer häufiger sind Einzelpersonen Ziel enthemmter Gewalt.“ Auch wenn die Gesamtzahl der linksextremistischen Straftaten von 471 im Vorjahr auf 364 2022 gesunken ist, ist der Anteil der Gewalttaten an der Gesamtzahl auf 11,5 Prozent gestiegen (2021: 47, 2022: 42). „Der Anteil von gewaltbereiten Personen am Gesamtpersonenpotenzial liegt mittlerweile bei 27,5 Prozent. Dies deutet auf eine fortschreitende Radikalisierung hin“, so der Innenminister.

Islamistischer Terrorismus weiterhin auf hohem Niveau

Auf unverändert hohem Niveau sieht der Innenminister die Gefahr des islamistischen Terrorismus. „Rund 690 Personen – davon rund 18 Prozent gewaltbereit – ordnen die Verfassungsschützer dem salafistischen Spektrum zu.“ Insbesondere die Bedrohung durch islamistisch motivierte Einzeltäter bestehe nach wie vor. Herrmann erinnerte hier an die Messerangriffe im November in Brüssel und im September in Ansbach. „Bei allen Anschlägen spielt das Internet für die Planung, Durchführung oder Radikalisierung eine wichtige Rolle. Es ist und bleibt daher eine wichtige Aufgabe der Sicherheitsbehörden, Tätermerkmale zu analysieren und potentielle Attentäter frühzeitig zu identifizieren.“